Aus einem Bauchgefühl lässt sich ex post jede Strategie ableiten. Diese wird oft erst dann formuliert wenn die sich eigentlich daraus abzuleitenden Handlungen bereits erfolgt sind. Meine 10 Erkenntnisse aus 30 Jahren Strategie-Arbeit.

  1. Der Prozess ist die Queen
  2. Templates sind temporär
  3. Ungeduld ist Gift – Je nach Dosis
  4. Nähe schafft Relevanz
  5. Mut zur Unsicherheit schlägt Zielfetischismus
  6. Jede/r hat Recht – teilweise
  7. Repräsentieren schlägt präsentieren
  8. Unsicherheit schafft Sicherheit
  9. Die Wa(h)re Leben kommt unbestellt
  10. In der Anspannung entspannen

In meiner Jugend war es üblich, auf den Bedürfnisanstalten (aka Pissoirs) sogenannte Sponti-Sprüchen mit dem „Filzer“ zu hinterlassen. Einer davon kam mir wieder in Erinnerung, da er den Zeitgeist der damals bewahrenden Strömungen konterkarierte. Der Einwurf der Konservativen war häufig: Ja wo kämen wir denn da hin, wenn jetzt jeder ….? Auf jeden Fall las ich damals den Spruch: „Wo kämen wir denn da hin, wenn alle sagen würden, ja wo kämen wir denn da hin, und keiner ginge um zu schauen, wohin man käme, wenn man denn ginge.“ Aus über 30 Jahren Strategie-Arbeit habe ich diesem Zitat nachspürend folgende 10 wichtigen Erkenntnisse gezogen.

1. Der Prozess ist die Queen

Fokussieren wir 80% der Management-Attention auf den Strategie-Prozess und 20% auf die Ergebnisse. Die Dynamik des Prozesses sichert die Umsetzung und Nachhaltigkeit.

Frage: Auf einer Skala von 0 bis 10. Wie viel Zeit investiert Ihr in die Gestaltung- und Würdigung Eurer Strategie-Prozesse?

2. Templates sind temporär

Vorlage und Strukturen helfen der Simplifizierung von Ergebnissen und deren Kommunikation. Nicht dem Ergebnis selbst.

Frage: Wann im Strategie-Prozesse verwendet Ihr SWOT, Ansoff, Umweltanalyse?

3. Ungeduld ist Gift – Je nach Dosis

Ungeduld ist eine Tugend. Sie fokussiert auf ein gewünschtes Ergebnis und ist energetischer Treiber. Solange die Ungeduld nicht überfordert und überwältigt. Frei nach Paracelsus Gift-Dosierung-Tödlichkeit-Korrelation.

Frage: Auf einer Skala von weiß bis schwarz? Welchen Ton hat Deine Management-Ungeduld?

4. Nähe schafft Relevanz

Kommen wir wirklich in die Nähe der Menschen, mit denen wir in den Prozess gehen? Kann aus menschlicher Distanz ein Prozess wirklich und wirksam sein.

Frage: Wie viele Beziehungen kann ich ab morgen führen. Also in Führung gehen in der Gestaltung der Beziehung.

5. Mut zur Unsicherheit schlägt Zielfetischismus

Haben wir im Management den Mut, unsere Unsicherheit auszuhalten. In Unsicherheit zu entscheiden und trotzdem Ruhe zu empfinden.

Frage: Wer müsste Dich als Führungskraft legitimieren, unsicher sein zu dürfen.

6. Jeder hat Recht – teilweise

Vom „Nein“ über ein „Ja, aber …“ hin zu einem „Ja, und …“. Die Wertschätzung aller Perspektiven erlaubt ein umfassendes (stellen wir uns doch statt eines umfassenden lieber ein umarmendes) und integrierendes Bild.

Frage: Wie oft, wenn Du einer anderen Meinung als Dein Gegenüber bist sagst Du: „Was ich an Deiner Idee gut finde ist ……, und ich würde folgendes noch ergänzen: ….“

7. Repräsentieren schlägt präsentieren

Authentizität und Wahrhaftigkeit. Zwei große Wörter, denen wir uns stellen müssen. Unsere Zuhörer spüren unsere Ambivalenzen egal wie gut die Charts gebaut sind.

Frage: Habe ich manchmal auch Angst, gegenüber meinem Team etwas zu präsentieren, was ich nicht repräsentiere? Zeige ich mich dann wirklich?

8. Unsicherheit schafft Sicherheit

Unsicher zu sein ist legitim. Aber legitimieren wir uns auch, unsere Unsicherheit zu teilen. Den verletzlichen und einsamen Teil zu offenbaren, der uns quält. Und dessen Offenbarung so viel Nähe schaffen könnte.

Frage: Welche Story erzähle ich mir, dass ich es mir nicht erlauben kann, meine Unsicherheit mit meiner Peer zu teilen?

9. Die Wa(h)re Leben kommt unbestellt

Das wahre Leben kommt ungefragt. Keine Bestellung, Tracking-ID und kein Zustelldatum. Den Ablageort können wir aber bestimmen. Heißen wir die „Ware Leben“ willkommen. Sie kommt ohnehin: unbestellt, ungefragt und echt.

Frage: Heißen wir alles wirklich willkommen als Teil eines echten Prozesses?

10. In der Anspannung entspannen

Auch wenn mal wieder ein Muskel strapaziert wurde, von dessen Existenz wir nichts wussten. Genau wie dieser Muskel im Schienbein, denn man im alpinen Abstieg strapaziert. Der Schmerz der „ersten Male“ ließ immer nach. Vertrauen wir darauf.

Frage: Wann beobachte ich bei mir den Muskel-Kater der ersten Male und wie begegne ich diesem Schmerz?


Und: Die Erkenntnis zu haben heißt nicht zwingend, diese auch in den eigenen Unternehmungen (Job, Familie, Freundeskreis) immer richtig zu machen. Weil ich es dann richtig mache wenn es der richtige Zeitpunkt ist, zu meiner Zeit, in meinem Prozess, in meiner Entwicklung, in meinem Richtig.

„Meine Worte erstaunen mich, und lehren mich mein Denken“

Maurice Merleau-Ponty